Öffentliche Bekanntgabe in Buchform der von einem namentlich benannten Kind gezeigten konkreten Verhaltensweisen verletzt dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht

a) Die öffentliche Bekanntgabe der von einem namentlich benannten Kind in der Grundschule gezeigten konkreten Verhaltensweisen und Fähigkeiten be-einträchtigt dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf ungestörte kindgemäße Entwicklung.
b) Die durch die Preisgabe nicht in die Öffentlichkeit gehörender Lebenssach-verhalte bewirkte Persönlichkeitsrechtsverletzung entfällt nicht dadurch, dass sich der Verletzte oder sein Erziehungsberechtigter nach der Verletzung ebenfalls zu den offenbarten Umständen äußert.
c) Zur Reichweite des Schutzbereichs der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG).

BGH URTEIL VI ZR 175/14 vom 15. September 2015

GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 3; BGB § 823 Abs. 1 Ah, § 1004 Abs. 1 Satz 2.

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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2015 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner, die Richterin von Pentz, den Richter Offenloch und die Richterin Dr. Roloff
für Recht erkannt:
I. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. März 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Urteil des Landgerichts Köln vom 18. September 2013 auf die Berufung der Beklagten abgeän-dert und die Klage abgewiesen worden und als die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihrer gegen beide Beklagte gerich-teten Anträge auf Unterlassung ihrer Bezeichnung als Tochter der A. X. und/oder Kind der A. X. in dem Buch „H. “ zurückgewiesen worden ist.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 18. September 2013 teilweise abgeändert und zur Klar-stellung wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, es zu unterlassen, die erste Auflage des Druckerzeugnisses „H. “ (ISBN ) in den Verkehr zu bringen und öffent-lich zu verbreiten, wenn die Klägerin in dem genannten Werk mit vollständigem Namen oder als U. X. , als Tochter der A. X. und/oder als Kind der A. X. benannt wird, wenn dies geschieht wie in dem als Anlage K 1 vorgelegten Buchaus-druck.
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2. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, es zu unterlassen, alle weite-ren Auflagen des Druckerzeugnisses und das ebook „H. – “ (ISBN ) in den Verkehr zu bringen und öffentlich zu verbreiten, wenn die Klägerin in dem ge-nannten Werk als Tochter der A. X. und/oder als Kind der A. X. benannt wird, wenn dies geschieht wie in dem als Anlage K 1 vorgelegten Buchausdruck.
3. Der Beklagten zu 1 wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ge-gen die Unterlassungsgebote nach Ziffer 1 und 2 ein Ordnungs-geld von bis zu 250.000 € und für den Fall, dass dieses nicht bei-getrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, – die Ordnungshaft zu voll-ziehen an ihren jeweiligen Geschäftsführern – angedroht.
4. Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin in der ersten Auflage des Druckerzeugnisses „H. “ (ISBN ) mit vollständigem Na-men, als U. X. , als Tochter der A. X. und/oder als Kind der A. X. zu benennen, wenn dies geschieht wie in dem als Anlage K 1 vorgelegten Buchausdruck.
5. Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin in allen weiteren Auflagen des Druckerzeugnisses oder im ebook „H. “ (ISBN ) als Tochter der A. X. und/oder als Kind der A. X. zu benennen, wenn dies geschieht wie in dem als Anlage K 1 vorge-legten Buchausdruck.
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6. Der Beklagten zu 2 wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ge-gen die Unterlassungsgebote nach Ziffer 4 und 5 ein Ordnungs-geld von bis zu 250.000 € und für den Fall, dass dieses nicht bei-getrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, angedroht.
7. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.196,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.157 € seit dem 16. November 2012 und aus 39,43 € seit dem 4. Mai 2013 (Beklagte zu 1) bzw. seit dem 5. Mai 2013 (Beklagte zu 2) zu zahlen.
8. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehenden Rechtsmittel werden zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/3 und die Beklagten je 1/3.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die minderjährige Klägerin begehrt Unterlassung und Zahlung einer Geldentschädigung wegen der identifizierenden Erwähnung ihrer Person in ei-nem von der Beklagten zu 1 verlegten und von der Beklagten zu 2 verfassten Buch.
Die Beklagte zu 2 war Grundschullehrerin und ist die Ehefrau eines früheren Senators von B. Die Klägerin wurde nach einem Umzug im Winter 2007 an der Grundschule angemeldet, an der die Beklagte zu 2 unterrichtete. Die Klägerin nahm probeweise am Unterricht der dritten Klasse teil, um zu tes-ten, ob sie geeignet sei, die zweite Klasse zu überspringen. Die Beklagte zu 2, die die Klassenlehrerin dieser dritten Klasse war, sprach sich gegen ein Über-springen aus. Im März 2008 legte die Mutter der Klägerin wegen des Umgangs der Beklagten zu 2 mit ihrer Tochter eine Beschwerde bei der Senatsverwaltung für Bildung ein. Im November 2008 wandte sich die Mutter an die B. Zeitung und schilderte den Vorgang unter Nennung ihres eigenen Namens und des Namens der Beklagten zu 2. In dem daraufhin am 5. November 2008 erschie-nenen Artikel hieß es unter voller Namensnennung u.a. wie folgt:
„Y (Anmerkung des Senats: Beklagte zu 2) gilt als erfahrene und strenge Grundschullehrerin. Ihr Mann, …senator Z (…), interessiert sich ebenfalls für die Lage der Schulen in B. und äußert sich immer mal wieder in Interviews da-zu. Jüngst hat er in einem Leserbrief den Lehrern der …stadt eine „traditionell leistungsabgewandte Kultur“ vorgeworfen. Nun hat Y selbst Ärger. Gegen die Lehrerin liegt bereits seit April eine Beschwerde bei der Senatsbildungsverwal-tung vor. Unter dem Aktenzeichen VII A 4.4 wird ihr vorgeworfen, schulrechtli-che Dienstvorschriften verletzt zu haben. Es geht um ihr eigenmächtiges Ver-halten gegenüber einer Schülerin. … „Ich habe den Eindruck, dass die Bil-
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dungsverwaltung sich mit der Beschwerde bisher gar nicht beschäftigt hat“, sagt Rechtsanwältin B., die die Beschwerde eingereicht hat. Anlass für diese Einga-be war der Umgang der Grundschullehrerin Y mit einem Mädchen, das von ei-ner anderen Schule kommend in die dritte Klasse der Grundschule im B. Wes-ten aufgenommen worden war. Dort war Y Klassenlehrerin. Nach Schilderung der Mutter A… X. gab es sofort Probleme zwischen Y und ihrem als hochbe-gabt eingestuften Kind. Zu Beginn der Weihnachtsferien 2007 soll die Lehrerin plötzlich die Schultasche des Kindes genommen haben und Schulbücher und Unterrichtsmaterialien der zweiten Klasse reingesteckt haben. Auf Nachfrage der Mutter soll Y gesagt haben, dass das Kind nun die zweite Klasse besuchen werde. Allerdings: Einen für eine solche Maßnahme notwendigen Beschluss der Klassenkonferenz gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Später soll die Grund-schullehrerin sogar gesagt haben, dass das Mädchen die Schule gar nicht mehr besuchen werde. Die Mutter berichtet, ihre Tochter habe darunter gelitten. Um weitere Belastungen zu vermeiden, habe sie ihr Kind schließlich tatsächlich in die untere Klasse gegeben. Die Mutter des Mädchens schaltete schließlich nach Absprache mit der kommissarischen Schulleiterin, die das Verhalten der Lehrerin Y ebenfalls missbilligte, den zuständigen Schulrat …, H., ein. Dieser, seit 17 Jahren im Amt, bemühte sich um ein klärendes Gespräch zwischen Y und der Kindesmutter. Doch Y, so Anwältin B., habe vorgeschlagene Termine kurzfristig abgesagt – auch ohne Angabe von Gründen. Zuletzt Mitte März 2008. Daraufhin reichte die auf Schulrecht spezialisierte Anwältin im Auftrag der Mut-ter Beschwerde gegen Y ein. Auch der streitbare Schulrat zog Konsequenzen. Er verordnete der Lehrerin Y „einen pädagogischen Neuanfang“ an einer ande-ren Schule – sie sollte versetzt werden. Dazu aber kam es nicht. Y schrieb am 3. Juli 2008 einen Brief an Bildungssenator J. (…). Darin legte sie eine formal korrekte Eilbeschwerde gegen ihre drohende Versetzung ein. In dem Brief sprach sie von einem „persönlichen Rachefeldzug“ gegen sich. Zum Beginn der
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Sommerferien wird dem resoluten Schulrat H. vom zuständigen Abteilungsleiter der Bildungsverwaltung, L., in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt, dass er zum 15. August versetzt wird und künftig als Schulrat in N.K. arbeitet. Es sei eine „Spannungsumsetzung. …“
In der Folgezeit wurde der Vorgang in mehreren Presseveröffentlichun-gen aufgegriffen. Dabei wurden die Beklagte zu 2 und die Mutter der Klägerin namentlich genannt ebenso wie die von der Klägerin besuchte Grundschule. Der Name der Klägerin wurde nicht mitgeteilt.
Nach ihrem Ausscheiden aus dem Schuldienst im Jahr 2011 verfasste die Beklagte zu 2 das Buch „H. „. Das Buch wurde von der Beklagten zu 1 verlegt und erschien im Herbst 2012. Die Beklag-te zu 2 schildert darin auch die Vorgänge um die probeweise Versetzung der Klägerin in eine höhere Klasse. Sie führt unter voller Namensnennung u.a. aus:
„Am 12. November 2007 kam Frau W., damals kommissarische Konrek-torin, im Schulflur auf mich zu. Im Hintergrund gewahrte ich eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Diese Mutter war A… X. (Anmerkung des Senats: Mutter der Klägerin). Ich sah mir das Kind genauer an. Es war ein aufgeschlossenes Mäd-chen, aber es stellte sich heraus, dass es für ein drittes Schuljahr noch zu unreif war. Die anderen Mädchen waren ihm sozial überlegen, was sie ihrerseits mit Maulereien und Beleidigtsein quittierte. Sie schrieb noch sehr langsam und un-gelenk. Beim Lesen hatte sie Mühe, den Sinn zu erfassen, weinte schnell, wenn etwas nicht gleich gelang, wie einen Würfel zu falten und zu kleben. Beim Rechnen wurden mir von der Fachlehrerin auch große Schwierigkeiten ge-nannt, ebenso gab es im Fach Englisch Probleme… (S. 141 ff.).
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…Am 5. November 2008 erschien in der B. Zeitung ein Artikel unter der Überschrift „Die Frau des Senators sorgt für Streit“. Es ging um die schon be-handelte „Möchtegernüberspringerin“, Tochter von Frau X…. (S. 163).
…Ich war ratlos. Sollte es so sein, dass meine Kollegen den reißerischen Presseartikeln Glauben schenkten? … Um nun wenigstens an meiner Dienst-stelle eine Informationsbalance herzustellen, stellte ich für meine Kollegen in kurzen Worten zusammen, worum es eigentlich gegangen war…. Hier der ori-ginale Text:
Basisinformationen zum Fall U…. X. (Anmerkung des Senats: Klägerin) B., den 9.11.2008
U…. X. kam im November 2007 unrechtmäßig auf Wunsch der Mutter und durch Veranlassung der kommissarischen Rektorin Frau W. zur Probe in meine Klasse…. Daher habe ich mich dagegen gewehrt. Das gefiel dem Schul-rat und meiner Schulleiterin nicht, weil sie wohl gerne ihren Fehler, das Kind überhaupt ins 3. Schuljahr gegeben zu haben, vertuschen wollten. Gegenüber der Mutter stellten sie es so dar, als ob ich allein dafür gesorgt hätte, dass das Kind U. X. wieder ins 2. Schuljahr gehen musste…“ (S. 166 f.).
Die Klägerin macht geltend, die identifizierende Darstellung ihrer Person als unreife „Pseudo-Hochbegabte“, der es an der erforderlichen Intelligenz und Sozialkompetenz fehle, verletze sie in ihrer Intimsphäre. Nach Ansicht der Be-klagten fehlt es an einer Rechtsverletzung der Klägerin, da der im Buch darge-stellte Sachverhalt bereits Gegenstand umfassender Presseberichte gewesen sei.
Die Beklagten haben sich in einer strafbewehrten Unterlassungserklä-rung dazu verpflichtet, den vollständigen oder abgekürzten Namen der Klägerin
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im eBook und ab der zweiten Auflage des Druckerzeugnisses nicht mehr zu verwenden.
Das Landgericht hat die Beklagte zu 1 verurteilt, es zu unterlassen, die erste Auflage des Buches in den Verkehr zu bringen und öffentlich zu verbrei-ten, wenn die Klägerin darin, wie in dem als Anlage vorgelegten Buchausdruck geschehen, mit vollständigem Namen oder mit abgekürztem Vornamen und vollem Nachnamen benannt wird. Das Landgericht hat die Beklagte zu 2 verur-teilt, es zu unterlassen, die Klägerin in ihrem Buch mit vollständigem Namen oder mit abgekürztem Vornamen und vollem Nachnamen zu benennen, wenn dies wie in dem als Anlage vorgelegten Buchausdruck dargestellt geschieht. Das Landgericht hat die Beklagten darüber hinaus zur Zahlung von Rechtsan-waltskosten in Höhe von 1.196,43 € verurteilt und die Klage im Übrigen abge-wiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
A.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagten kein Anspruch auf Unterlassung der identifizierenden Benennung in dem von der Beklagten zu 2 verfassten Buch zu. Zwar werde die Klägerin durch die angegriffene Veröffentlichung in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Betroffen sei ihr Recht auf Achtung der Privatsphäre, das auch die Befugnis umfasse, in selbstgewählter Anonymität zu bleiben. Es komme
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auch nicht darauf an, ob die Identifizierung der Klägerin durch Nennung ihres vollen oder abgekürzten Namens oder durch Mitteilung anderer, ihre Identifizie-rung ermöglichenden Daten erfolge. Denn es mache keinen Unterschied, ob der Betroffene für die Leser durch die ausdrückliche Nennung seines Namens oder auf sonstige Weise erkennbar gemacht werde. Der Eingriff sei aber nicht rechtswidrig, da die Schutzinteressen der Klägerin hinter dem Recht der Be-klagten auf freie Berichterstattung zurückzutreten hätten. Zwar sei die Pri-vatsphäre der Klägerin in verstärktem Maße schutzbedürftig, weil die Klägerin noch minderjährig sei. Dieser grundsätzlich weitgehende Schutz sei im Streitfall jedoch eingeschränkt, weil der Umstand, dass die Klägerin aufgrund einer Hochbegabung die zweite Klasse habe überspringen sollen und die Beklagte zu 2 ihr dies nicht ermöglicht habe, aufgrund einer Handlung der Mutter der Klägerin allgemein bekannt gewesen sei. So seien in dem auf Veranlassung der Mutter der Klägerin veröffentlichten Zeitungsartikel der Vor- und Nachname der Klägerin, der Name ihrer Anwältin, die Hochbegabung, der Streit um den Ver-bleib der Klägerin in der dritten Klasse sowie die Lage der Schule erwähnt. Auch die in den nachfolgenden Presseberichten genannten weiteren Einzelhei-ten seien von der Selbstöffnung umfasst. Denn die Mutter der Klägerin habe davon ausgehen müssen, dass aufgrund des bekannten Namens der Beklagten zu 2 weitere Presseorgane das Thema aufgreifen und eigene Recherchen an-stellen würden; der Name der Grundschule sei leicht zu recherchieren gewe-sen. Die Klägerin könne nicht einen höheren Grad an Anonymität beanspru-chen, als sie infolge der Selbstöffnung ihrer Mutter und der durch diese veran-lassten Berichte in der Öffentlichkeit bisher innegehabt habe. Die Berichterstat-tung aus dem Jahr 2008 sei auch nicht aufgrund Zeitablaufs unbeachtlich. Denn sie sei weiterhin im Internet abrufbar und werde in weiteren Berichten aus dem Jahr 2011 aufgegriffen und verlinkt. Zwar sei der vollständige Name der Kläge-rin in den angeführten Artikeln nicht erwähnt worden; sie sei jedoch aus den
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anderen genannten Daten leicht zu identifizieren gewesen. Es gehöre deshalb bereits zu dem in der Öffentlichkeit geprägten Bild der Klägerin, dass es zwi-schen ihrer Mutter und der Beklagten zu 2 aufgrund eines im Ergebnis fehlge-schlagenen Versuchs der Klägerin, eine Klasse aufgrund einer Hochbegabung zu überspringen, eine längere Auseinandersetzung gegeben habe. Das von der Beklagten zu 2 verfasste Buch mache die Klägerin lediglich weiterhin in gleicher Weise identifizierbar. Dass die Klägerin von der Beklagten zu 2 inhaltlich anders dargestellt werde als in dem von ihrer Mutter veranlassten Pressebericht, liege in der Natur der Sache. Wäre die Klägerin von ihrer Mutter und ihrer Lehrerin gleich eingeschätzt worden, so wäre es zu der Auseinandersetzung nicht ge-kommen.
Demgegenüber könnten sich die Beklagten auf das Recht der Meinungs-freiheit berufen. Ausgehend davon, dass die Beklagte zu 2 ein Debattenbuch über den Zustand der heutigen Schule und insbesondere der Schulverwaltung in B. habe schreiben wollen, dabei auch die von ihr als Mobbing empfundenen Vorkommnisse in den letzten Jahren ihres Schuldienstes habe aufarbeiten wol-len, und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Nichtversetzung der Klägerin in der Presse bereits vorher große Beachtung gefunden habe, bestehe ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch an dem die Klägerin und ihre Mutter involvierenden Vorgang. Die Intention der Beklagten sei darauf gerichtet gewesen, eine übergroße Einmischung der Eltern in den Schulbetrieb und eine mangelnde Akzeptanz der Lehrer als pädagogische Autorität zu kritisieren, wo-für die Episode mit der Mutter der Klägerin als Beispiel diene. Ausschlaggebend für die Abwägung zu Gunsten der Beklagten sei, dass die eine Identifizierung ermöglichenden persönlichen Daten der Klägerin im Zeitpunkt der angegriffe-nen Veröffentlichung im Internet zugänglich gewesen seien. Die Sicht der Öf-fentlichkeit auf die Klägerin sei schon gegeben und durch die bereits vorhande-nen Informationen mitgeprägt gewesen.
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B.
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stehen der Klägerin gegen die Beklagten Unterlassungsansprüche aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG in dem im Tenor näher bezeichneten Umfang zu. Die Veröffentlichung und Verbreitung des Buches „H. „, in dem der fehlge-schlagene Versuch der Klägerin, eine Klasse zu überspringen, in identifizieren-der Weise geschildert und diese unter Schilderung näherer Belegtatsachen als unreife und ihren Mitschülerinnen sozial unterlegene „Möchtegernüberspringe-rin“ dargestellt wird, verletzen die Klägerin in ihrem allgemeinen Persönlich-keitsrecht. Die Klägerin kann daher auch Ersatz der erforderlichen Rechtsan-waltskosten verlangen. Die Revision ist dagegen unbegründet, soweit mit ihr der Antrag weiterverfolgt wird, die Beklagte zu 2 zu verurteilen, es zu unterlas-sen, die Klägerin in der Öffentlichkeit und/oder in Bezug auf das Buch in identi-fizierender Weise zu bezeichnen. Ohne Erfolg wendet sich die Revision auch gegen die Abweisung des Antrags auf Zahlung einer Geldentschädigung.
I. Die Klägerin kann von den Beklagten gemäß § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG Unterlassung wie im Tenor näher bezeichnet verlangen.
1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die die Klägerin identifizierende Darstellung der Ereignisse im Zusammenhang mit ihrem missglückten Versuch, die zweite Klasse zu überspringen, in dem von der Beklagten zu 2 verfassten Buch in den Schutzbereich des allgemeinen Per-sönlichkeitsrechts der Klägerin eingreift. Betroffen ist zum einen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das dem Einzelnen die Befugnis gibt, grund-
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sätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Gren-zen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. Senatsurteile vom 29. April 2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 9; vom 30. September 2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 536; vom 13. Januar 2015 – VI ZR 386/13, VersR 2015, 336 Rn. 9, jeweils mwN). Betroffen ist darüber hinaus das Recht der minderjährigen Klägerin auf ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ungestörte kindgemäße Entwicklung (vgl. Senatsurteile vom 5. November 2013 – VI ZR 304/12, BGHZ 198, 346 Rn. 17 mwN; BVerfGK 8, 173, 175; BVerfG, NJW 2000, 2191, 2192; AfP 2003, 537). Kinder bedürfen eines beson-deren Schutzes, weil sie sich erst zu eigenverantwortlichen Personen entwi-ckeln müssen. Ihre Persönlichkeitsentfaltung kann dadurch, dass persönliche Angelegenheiten zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht werden, wesentlich empfindlicher gestört werden als die von Erwachsenen (vgl. Senats-urteile vom 5. November 2013 – VI ZR 304/12, BGHZ 198, 346, Rn. 17; vom 29. April 2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 9; BVerfGE 101, 361, 385; 119, 1, 24; 120, 180, 199). Das Recht jedes Kindes auf ungehinderte Entwick-lung zur Persönlichkeit – auf „Person werden“ – umfasst dabei sowohl die Pri-vatsphäre als auch die kindgemäße Entwicklung und Entfaltung in der Öffent-lichkeit (vgl. BVerfG, NJW 2000, 2191, 2192). Der konkrete Umfang des Rechts des Kindes auf ungestörte kindliche Entwicklung ist vom Schutzzweck her unter Berücksichtigung der Entwicklungsphasen des Kindes zu bestimmen (BVerfG, AfP 2003, 537).
2. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin ist rechtswidrig. Das Interesse der Klägerin am Schutz ihrer Persönlichkeit über-wiegt das von den Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit.
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a) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmen-rechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonven-tion interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persön-lichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffe-nen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. Senatsurtei-le vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 22 = AfP 2014, 135; vom 30. September 2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 536).
b) Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse der Klägerin am Schutz ihrer Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit abzuwägen (vgl. auch EGMR vom 12. März 2015, Almeida Leitão Bento Fernandes gegen Portugal, Appl. no. 25790/11 – http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-152727#{„itemid“:[„001-152727“]}, abgeru-fen am 10. August 2015). Auf die in Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfrei-heit können sich die Beklagen dagegen nicht berufen. Das Buch fällt nicht in den Schutzbereich dieses Grundrechts.
aa) Der von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Lebensbereich „Kunst“ ist durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerk-male zu bestimmen. Wie weit danach die Kunstfreiheitsgarantie der Verfassung reicht und was sie im Einzelnen bedeutet, lässt sich nicht durch einen für alle Äußerungsformen künstlerischer Betätigung und für alle Kunstgattungen gleichermaßen gültigen allgemeinen Begriff umschreiben. Die Schwierigkeit, Kunst zu definieren, entbindet indessen nicht von der verfassungsrechtlichen Pflicht, bei der konkreten Rechtsanwendung zu entscheiden, ob die Vorausset-
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zungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorliegen, und zu diesem Zweck die Grundanforderungen künstlerischer Tätigkeit festzulegen (vgl. BVerfGE 67, 213, 225; 75, 369, 377). Dabei ist im Interesse des Schutzes künstlerischer Selbstbestimmung von einem weiten Kunstbegriff auszugehen (BVerfGE 67, 213, 225; 119, 1, 23 – Esra; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rn. 298 f., 301; BeckOK/Kempen, GG, Art. 5 Rn. 163 [Stand: 1. Juni 2015]). Ein Kunstwerk ist jedenfalls dann gegeben, wenn es sich um eine freie schöpferi-sche Gestaltung handelt, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur Anschauung gebracht werden (vgl. BVerfGE 30, 173, 188 f.; 67, 213, 226; 75, 369, 377; 119, 1, 20 f. – Esra). Schildert der Autor eines Werks tatsächliche Begebenheiten und/oder existierende Personen, kommt es darauf an, ob er diese Wirklichkeit künstlerisch gestaltet bzw. eine neue ästhetische Wirklichkeit schafft. Letzteres liegt nahe, wenn der Autor tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt und keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Erschöpft sich der Text dagegen in einer reportagehaften Schilderung eines realen Geschehens und besitzt er keine zweite Ebene hinter der realistischen Ebene, so fällt er nicht in den Schutzbe-reich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. Senatsurteil vom 10. Juni 2008 – VI ZR 252/07, AfP 2008, 385 Rn. 8 – Esra; BVerfGE 119, 1, 20 f., 28 f., 31, 33 – Esra; BVerfG AfP 2008, 155 Rn. 4).
bb) Nach diesen Grundsätzen ist das von der Beklagten zu 2 verfasste Buch nicht als Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu qualifizieren. Es handelt es um einen reinen Tatsachenbericht, mit dem die Autorin keine ge-genüber der realen Wirklichkeit verselbständigte ästhetische Wirklichkeit ge-schaffen oder angestrebt hat. Die Autorin erhebt vielmehr ausdrücklich einen Faktizitätsanspruch. In ihrem Vorwort weist sie darauf hin, dass sie in erster Linie Missstände im Schulsystem aufdecken wolle und ausschließlich Ge-
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schehnisse in ihr Buch aufgenommen habe, die sich tatsächlich ereignet hätten und die sie belegen könne.
c) Die Abwägung zwischen dem Interesse der Klägerin am Schutz ihrer Persönlichkeit und dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit fällt zugunsten der Klägerin aus. Der durch die identifizierende Berichterstattung bewirkte Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht ist erheblich. Im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches befand sich die Klägerin in einer besonders schutzwürdigen Phase ihrer Per-sönlichkeitsentwicklung. Sie war 12 Jahre alt, gerade in die siebte Klasse einer weiterführenden Schule gekommen und befand sich kurz vor oder schon in der Pubertät. Die Bekanntgabe konkreter, in der Grundschule gezeigter Verhal-tensweisen (Maulereien, Beleidigtsein, Weinen, wenn etwas nicht gelingt) und die konkrete Beschreibung ihrer angeblich noch unzureichenden Schreib-, Le-se- und Rechenfähigkeiten, die die Beklagte zu 2 als Beleg für die von ihr be-hauptete soziale, emotionale und leistungsmäßige Überforderung der Klägerin in der dritten Klasse anführt, beeinträchtigen ebenso wie die zusammenfassen-de, abwertende Bezeichnung der Klägerin als „Möchtegernüberspringerin“ de-ren Recht auf ungestörte kindgemäße Entwicklung in erheblichem Maße. Ent-gegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine erhebliche Beeinträch-tigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin durch die Bekanntgabe konkreter schulischer Verhaltensweisen und die Beschreibung ihrer Fähigkeiten nicht mit der Begründung verneint werden, es liege „in der Natur der Sache“, dass die Klägerin von der Beklagten zu 2 inhaltlich anders dargestellt werde als in dem von ihrer Mutter veranlassten Pressebericht. Denn die Darstellung der Klägerin ist geeignet, ihre Entwicklung zur und ihre Entfaltung als Persönlichkeit nach-haltig zu behindern. Die Klägerin musste befürchten, dass die mit konkreten Einzelheiten belegte Darstellung ihrer Person als sozial und emotional unreife „Möchtegernüberspringerin“ Personen in ihrem nahen Umfeld bekannt wird und
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von diesen als Grundlage zur Beurteilung ihrer Person genommen wird. Sie musste darüber hinaus gewärtigen, das Ziel von Anfeindungen oder Hänseleien – etwa von Mitschülern – zu werden. Bereits diese berechtigten Befürchtungen der Klägerin genügen, um eine Beeinträchtigung ihres Rechts auf ungestörte kindgemäße Entwicklung zu bejahen. Entgegen der Auffassung des Berufungs-gerichts kommt es nicht darauf an, ob die Darstellung der Klägerin tatsächlich von ihrem Umfeld zur Kenntnis genommen worden ist. Denn der Feststellung konkreter Beeinträchtigungen für die Persönlichkeitsentfaltung des Minderjähri-gen oder zu einer Gefährdung seines Wohls bedarf es für die Annahme einer Beeinträchtigung des Rechts auf kindgemäße Entwicklung nicht (vgl. BVerfGK 8, 173, 176; BVerfG, AfP 2003, 537).
In diesem Zusammenhang ist weiterhin zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten zu 2 preisgegebenen Informationen über die Klägerin auch des-halb einen gesteigerten Schutz vor einer Bekanntgabe an die Öffentlichkeit ge-nießen, weil sie von der – sowohl verbeamtete als auch angestellte Lehrer tref-fenden – Verschwiegenheitspflicht umfasst sind (§ 37 BeamtStG, § 3 Abs. 2 Ta-rifvertrag der Länder; vgl. DIJuF-Rechtsgutachten vom 21. März 2012 – J 7.250 Sm, JAmt 2012, 266 f.; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 37 BeamtStG Rn. 7 [Stand: März 2009]). Die dargestellten Verhal-tensweisen und Fähigkeiten der Klägerin hat diese nämlich im Schulverhältnis gegenüber ihrer Klassenlehrerin, anderen Lehrern oder gegenüber Mitschü-lern gezeigt; die Beklagte zu 2 hat Kenntnis von diesen Umständen allein auf-grund ihrer dienstlichen Tätigkeit als Lehrerin erlangt.
Die Beklagte zu 2 hätte ihr Interesse an einer Richtigstellung der angeb-lich unzutreffenden Zeitungsberichte und an einer Darstellung der Vorkommnis-se an den Schulen in B. dagegen ohne ernstliche Einschränkungen auch dann verfolgen können, wenn sie die Klägerin anonymisiert hätte (vgl. Senatsurteil
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vom 8. Februar 1994 – VI ZR 286/93, AfP 1994, 138, 139). Entgegen der Auf-fassung des Berufungsgerichts waren die mitgeteilten Informationen über die Klägerin auch nicht bereits vor der Veröffentlichung des Buches einer breiten Öffentlichkeit bekannt und prägten die Sicht auf sie. Aufgrund der Berichterstat-tung in den Medien im November 2008 und Januar 2011 war allenfalls bekannt geworden, dass eine Tochter von A. X. an der Grundschule der Beklagten zu 2 die zweite Klasse überspringen sollte und die Beklagte zu 2 dieses Ziel nicht ermöglicht hat. Nicht bekannt waren hingegen die von der Beklagten zu 2 im Einzelnen dargestellten schulischen Verhaltensweisen und die Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeiten der Klägerin. Ebenso wenig war ihr voller oder abge-kürzter Vorname bekannt geworden. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vor-name einer Zweit- bzw. Drittklässlerin, deren Nachname und Grundschule be-kannt sind, überhaupt ohne weiteres recherchiert werden kann. Selbst wenn dies einem Teil der Leser der Artikel gelungen ist, hätte die Klägerin ihre Ano-nymität dadurch noch nicht verloren. Denn durch die Veröffentlichung des Bu-ches ist der Kreis derjenigen Personen, die Kenntnis vom Vornamen der Kläge-rin hatten, erheblich erweitert worden (vgl. BVerfG, AfP 2010, 365 Rn. 33). An-ders als in den vom Senat am 5. November 2013 und 29. April 2014 entschie-denen Fällen (VI ZR 304/12 sowie VI ZR 137 und 138/13) fügte die vorliegend angegriffene Darstellung der Klägerin dem – allenfalls – in der Öffentlichkeit vor-handenen Kenntnisstand in zweifacher Hinsicht etwas Neues hinzu. Zum einen wurde der noch nicht bekannte Vorname der Klägerin preisgegeben; zum ande-ren wurden konkrete – von der Klägerin in der Grundschule gezeigte – Verhal-tensweisen und Fähigkeiten bekannt gemacht und ihre schulische Entwicklung aufgezeigt. Die identifizierende Darstellung der Klägerin im Buch der Beklagten hatte damit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts einen eigenständi-gen Verletzungsgehalt (vgl. Senatsurteile vom 29. April 2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 22; vom 29. Juni 1999 – VI ZR 264/98, AfP 1999, 350, 351).
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Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kommt es auch nicht darauf an, ob sich die Mutter der Klägerin im Anschluss an die Veröffentlichung des Buches öffentlich zu den Vorgängen geäußert und die von der Beklagten zu 2 berichteten Informationen bestätigt hat. Denn eine durch die Preisgabe nicht in die Öffentlichkeit gehörender Lebenssachverhalte bewirkte Persönlich-keitsrechtsverletzung entfällt nicht dadurch, dass sich der Verletzte oder sein Erziehungsberechtigter nach der Verletzung ebenfalls zu den offenbarten Um-ständen äußert (vgl. Senatsurteile vom 14. Oktober 2008 – VI ZR 272/06, AfP 2008, 610 Rn. 24; vom 19. Oktober 2004 – VI ZR 292/03, AfP 2004, 540, 543).
3. Wie die Revision zu Recht geltend macht, kann die Klägerin aufgrund der aufgezeigten Rechtsverletzung von den Beklagten nicht nur Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung der ersten Auflage des Buches, sondern auch aller weiteren Auflagen desselben und des eBooks verlangen, wenn die Klägerin darin als Tochter und/oder Kind der A…. X. bezeichnet wird und dies so geschieht wie in dem als Anlage K 1 vorgelegten Buchausdruck. Denn der rechtswidrige Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin liegt darin, dass in dem von der Beklagten zu 2 verfassten und von der Beklagten zu 1 vertriebenen Buch die von der Klägerin in der Grundschule gezeigten Ver-haltensweisen (Maulereien, Beleidigtsein, Weinen, wenn ihr etwas nicht gelingt) und ihre angeblich unzureichenden Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeiten in identifizierender Weise geschildert werden. Wie das Berufungsgericht zutref-fend angenommen hat und die Revisionserwiderung nicht ernsthaft in Frage stellt, war die Klägerin auch ohne die Angabe ihres vollen oder abgekürzten Namens aufgrund der mitgeteilten Umstände (Name der Mutter, Bezeichnung der Klägerin als deren Tochter, Name der Schule, Angabe der Klasse und der Jahreszahl) für einen nicht unerheblichen Personenkreis identifizierbar. Die Identifizierbarkeit ist nämlich bereits dann gegeben, wenn eine Person ohne namentliche Nennung zumindest für einen Teil des Leser- oder Adressatenkrei-
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ses aufgrund der gemachten Angaben hinreichend erkennbar wird. Es kann die Wiedergabe von Teilinformationen genügen, aus denen sich die Identität für die sachlich interessierte Leserschaft ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 1991 – VI ZR 53/91, AfP 1992, 140, 141; vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464, 465; BVerfGK 3, 319, 321 f.; Soehring in Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Auflage, § 17 Rn. 3; Wen-zel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 12 Rn. 43).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts waren die mitgeteilten Infor-mationen über die Klägerin nicht bereits vor der Veröffentlichung des Buches einer breiten Öffentlichkeit bekannt und prägten die Sicht auf sie. Wie oben be-reits aufgeführt, war aufgrund der Berichterstattung in den Medien im November 2008 und Januar 2011 allenfalls bekannt geworden, dass eine Tochter von A. X. an der Grundschule der Beklagten zu 2 die zweite Klasse überspringen sollte und die Beklagte zu 2 dieses Ziel nicht ermöglicht hat. Nicht bekannt waren hingegen das konkrete schulische Verhalten der Klägerin und ihr Leistungs-stand, mit denen die Beklagte zu 2 die angebliche soziale, emotionale und leis-tungsmäßige Überforderung der Klägerin in der dritten Klasse begründet hat.
Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist gegeben. Sie wird aufgrund der erfolgten Rechtsverletzung vermutet (vgl. Senatsurteile vom 27. Mai 1986 – VI ZR 169/85, AfP 1986, 241, 242; vom 30. Juni 2009 – VI ZR 210/08, AfP 2009, 494 Rn. 29; vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 Rn. 31). Diese Vermutung haben die Beklagten nicht entkräftet. Sie ist insbesondere nicht durch die von den Beklagten abge-gebene strafbewehrte Unterlassungserklärung entfallen. Denn Gegenstand die-ser Erklärung ist lediglich die Verwendung des vollständigen oder abgekürzten
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Namens der Klägerin, nicht hingegen die Mitteilung anderer Umstände, durch die die Klägerin erkennbar gemacht wird.
4. Die Unterlassungsverpflichtung der Beklagten in Bezug auf die erste Auflage des Druckerzeugnisses „H. “ ist nicht deshalb erloschen, weil den Beklagten die Erfüllung ihrer Unterlassungs-verpflichtung unmöglich wäre. Die Revisionserwiderung zeigt keinen in den Tat-sacheninstanzen übergangenen Sachvortrag auf, wonach das Buch auf dem Markt nicht mehr erhältlich wäre. Ein entsprechendes Vorbringen ergibt sich auch nicht aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll. Der neue und von der Klägerin bestrittene Vortrag der Beklagten in der Revisionsinstanz, wo-nach die erste Auflage nicht mehr lieferbar sei, ist im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 23. September 2014 – VI ZR 358/13, BGHZ 202, 242 Rn. 20 f. mwN).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Beklagte zu 1 von ih-rer Unterlassungsverpflichtung auch nicht hinsichtlich solcher Exemplare ent-bunden, die bereits an den Buchhandel ausgeliefert wurden. Nach der ständi-gen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die – wie im Streitfall – ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, nicht in bloßem Nichtstun. Vielmehr um-fasst sie auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Besei-tigung der Störungsquelle, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot Folge geleistet werden kann (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2014 – VI ZR 18/14, AfP 2015, 33 Rn. 16 zur titulierten Unterlassungsverpflichtung; BGH, Urteile vom 22. Oktober 1992 – IX ZR 36/92, BGHZ 120, 73, 76 f.; vom 18. September 2014 – I ZR 76/13, GRUR 2015, 258 Rn. 64; Beschluss vom 25. Januar 2007 – I ZB 58/06, NJW-RR 2007, 863 Rn. 17, jeweils mwN). Dementsprechend hat der Unterlassungsschuldner, um bestehende Gefahrenlagen zu beseitigen und
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künftige Verletzungen zu verhindern, erforderlichenfalls auf Dritte einzuwirken, wenn und soweit er auf diese – rechtlich oder tatsächlich – Einfluss nehmen kann (vgl. Senatsurteil vom 28. Juli 2015 – VI ZR 340/14, WM 2015, 1664 Rn. 40; BGH, Urteil vom 18. September 2014 – I ZR 76/13, GRUR 2015, 258 Rn. 70; OLG Köln, GRUR-RR 2008, 365; MMR 2010, 782, 783; Ott, WRP 2007, 605, 608; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl., 57. Kap. Rn. 26; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 12 Rn. 6.7).
5. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Geltendma-chung der Unterlassungsansprüche durch die Klägerin weder rechtsmiss-bräuchlich noch verstößt sie gegen das Schikaneverbot (§ 226 BGB). Die Rechtsverfolgung dient ersichtlich der Wahrung der Rechte der Klägerin, insbe-sondere ihres Rechts auf ungestörte kindliche Entwicklung; sie ist nicht darauf gerichtet, den Beklagten Schaden zuzufügen.
II. Aufgrund der aufgezeigten Rechtsverletzung steht der Klägerin gegen die Beklagten darüber hinaus ein auf die Erstattung der ihr entstandenen Rechtsverfolgungskosten gerichteter Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.196,43 € aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts war zur Wahrnehmung der Rechte der Klägerin notwendig. Die Bemessung der Höhe dieses Schadensersatzanspruchs auf der Grundlage eines Gegen-standswerts von 30.000 € und eines Gebührensatzes von 1,3 gemäß § 14 Abs. 1 RVG, Nr. 2300 RVG-VV durch das Landgericht ist rechtlich nicht zu be-anstanden. Entgegen der Auffassung der Revision kann die Klägerin nicht Er-satz einer nach einem Gebührensatz von 1,5 berechneten Geschäftsgebühr verlangen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die für durchschnittliche Fälle geltende Regelgebühr von 1,3 hinaus nach Nr. 2300 RVG-VV nur gerechtfertigt, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war
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(vgl. Senat, Beschluss vom 5. Februar 2013 – VI ZR 195/12, NJW-RR 2013, 1020 Rn. 7 f.; Urteil vom 27. Mai 2014 – VI ZR 279/13, VersR 2014, 894 Rn. 20; BGH, Urteil vom 11. Juli 2012 – VIII ZR 323/11, NJW 2012, 2813 Rn. 8 ff.). Dies ist hier – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht der Fall. In den Tatsacheninstanzen gehaltenen Sachvortrag, der eine andere Beurteilung rechtfertigt, zeigt die Revision nicht auf.
III. Die weiteren Anträge der Revision haben keinen Erfolg.
1. Die Klage ist unbegründet, soweit sie auf das Verbot gerichtet ist, die Klägerin in der Öffentlichkeit und/oder in Bezug auf das Buch in identifizierender Weise zu bezeichnen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, fehlt es an der für einen Unterlassungsanspruch erforderlichen Begehungsgefahr. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist es unstreitig, dass es in der Vergan-genheit nicht zu einer entsprechenden Rechtsverletzung gekommen ist. Dass die Beklagte zu 2, wie die Klägerin ausweislich der tatbestandlichen Feststel-lungen im Berufungsurteil mit der Berufung geltend gemacht hat, anlässlich ei-ner Buchvorstellung ausführlich über den Fall der Klägerin berichtet hat, was den interessierten Zuhörer zum Kauf des Buchs bewegen und dadurch zur Identifizierung der Klägerin führen könne, genügt nicht. Dieses Verhalten gibt keinen Anlass zu der Befürchtung, dass sich die Beklagte zu 2 zukünftig im Rahmen von Buchvorstellungen nicht auf die abstrakte Schilderung des Falls beschränken, sondern die Klägerin in identifizierbarer Weise damit in Verbin-dung bringen wird. Weitergehenden, von der Klägerin in den Tatsacheninstan-zen gehaltenen Sachvortrag, dem eine konkrete Begehungsgefahr zu entneh-men wäre, zeigt die Revision nicht auf.
2. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Zahlung einer Geldent-schädigung zu.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats be-gründet die schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ei-nen Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwie-genden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befrie-digend aufgefangen werden kann. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erfor-derlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 9. Juli 1985 – VI ZR 214/83, BGHZ 95, 212, 214 f.; vom 24. November 2009 – VI ZR 219/08, BGHZ 183, 227 Rn. 11; vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 38 ff.; vom 21. April 2015 – VI ZR 245/14, AfP 2015, 337 Rn. 33, jeweils mwN). Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist auch ein erwirkter Unterlassungstitel zu be-rücksichtigen; der Titel und die mit ihm verbundenen Vollstreckungsmöglichkei-ten können den Geldentschädigungsanspruch beeinflussen und im Zweifel so-gar ausschließen (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 1971 – VI ZR 26/70, DB 1971, 1660, 1661; Senatsbeschluss vom 30. Juni 2009 – VI ZR 340/08, juris Rn. 3). Denn die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persön-lichkeitsrechtsverletzung findet ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (vgl. Senatsurteile vom 9. Juli 1985 – VI ZR 214/83, BGHZ 95, 212, 215; vom 15. November 1994 – VI ZR 56/94, BGHZ 128, 1, 15 f.; vom 5. Oktober 2004 – VI ZR 255/03, BGHZ 160, 298, 302; vom 6. Dezember 2005 – VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 204 f.; vom 17. De-zember 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 40; BVerfGE 34, 269, 292 f.; BVerfG NJW 2000, 2187 f.; Müller, VersR 2008, 1141, 1150).
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b) Nach diesen Grundsätzen ist die Zahlung einer Geldentschädigung – auch unter Berücksichtigung des von der Revision in Bezug genommenen Sachvortrags der Klägerin in den Vorinstanzen – nicht erforderlich. Zwar ist der Eingriff in das Recht der Klägerin auf ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlich-keit und ungestörte kindgemäße Entwicklung erheblich. Der Senat hat auch unterstellt, dass das Buch im Februar 2013 im Religionsunterricht der Klägerin zweimal besprochen wurde und die Klägerin aus Angst davor, dass ihre Mit-schüler Kenntnis von den sie betreffenden Passagen des Buches erlangen würden, im zeitlichen Zusammenhang unter Kopf- und Bauchschmerzen litt. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass der rechtswidrige Eingriff nicht gegen die Grundlagen ihrer Persönlichkeit gerichtet ist; er trifft sie nicht im Kern ihrer Persönlichkeit. Die mit ihm verbundenen Beeinträchtigungen können be-friedigend durch den von ihr im vorliegenden Verfahren erwirkten Unterlas-sungstitel und das Ordnungsmittelverfahren aufgefangen werden. Wie unter I. 4. ausgeführt umfasst die Verpflichtung der Beklagten zur Unterlassung auch die Pflicht, die von ihnen geschaffene Störungsquelle im Rahmen des Mögli-chen und Zumutbaren zu beseitigen und künftige Rechtsverletzungen zu ver-hindern. Hierdurch erlangt die Klägerin hinreichend Genugtuung.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Galke Wellner von Pentz
Offenloch Roloff
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 18.09.2013 – 28 O 150/13 –
OLG Köln, Entscheidung vom 11.03.2014 – 15 U 153/13 –